„Die Sichtbarkeit erleichtert die Integration“ sagen die einen, indem sie auf ein positives Ergebnis des Booms des Tourismus gay-friendly hinweisen. Für andere besteht die einzige Art, nicht zu diskriminieren, darin, nicht zu differenzieren. Jenseits dieser Polemik hat die Tourismusindustrie definitiv ihre Augen auf dieses Segment gerichtet, das nach Angaben von Out Now Global im Jahr 2012 weltweit 165 Milliarden Dollar für Urlaubsreisen ausgeben wird.

Diese Tendenz zieht Destinationen, Hotelunternehmen, Reisebüros, Reiseveranstalter, Kreuzfahrt-Linien, Catering- und Entertainment- Service an. Von der IGLTA (International Gay and Lesbian Travel Association) als gay-friendly eingestuft worden zu sein oder einen Sprung hinsichtlich der sexuellen Rechte zu tun – wie zum Beispiel die homosexuelle Ehe zu legalisieren – kann einen guten Posten auf dem lukrativen LGBT-Markt sichern. Vorangetrieben von den Fortschritten der LGBT-Bewegung in den letzten zwei Jahrzehnten und von den Dringlichkeiten, die die Wirtschaftskrise der Industrie auferlegt – die inmitten starker Konkurrenz neue Nischen und Einnahmequellen suchen musste -, bieten diese Dienste einer Gemeinschaft, die historisch Diskriminierung und sogar Gewalt ausgesetzt war, eine gastfreundliche und sichere Atmosphäre. In der Tat ermöglichen sie es vielen Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transsexuellen, für ein paar Tage die Hemmnisse ihrer Wohnstätten oder Arbeitsstellen hinter sich zu lassen. Die Zahlen des Out Now Global spiegeln es wider: in Argentinien, wo das Bevölkerungssegment LGBT 1,9 Millionen Konsumenten beträgt (6% der Gesamtbevölkerung), mit Einnahmen von 27,9 Milliarden im Jahr 2010, haben 52% von ihnen nicht ihre gesamte Familie über ihre sexuelle Orientierung informiert, 65% haben dies in ihrem Betrieb nicht getan und 33% glauben, die Arbeit zu verlieren, wenn sie es tun würden. 22% gaben sogar an, sexuellen Belästigungen an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen zu sein. In diesem Zusammenhang unternahmen 61% in den letzten zwölf Monaten eine Urlaubsreise, vor allem nach Spanien, Brasilien, Frankreich, den USA, Griechenland, England, Italien, Mexiko, Australien und Holland. Gay-friendly-Destinationen „Gleich am Folgetag, nachdem über das Gesetz abgestimmt wurde, änderte sich etwas im Geist der Unternehmer und der Leute. Die Tatsache, dass es im Kongress, in den Zeitungen und im Fernsehen Gay, Lesbe und Trans heißt, dass mit Respekt gesprochen wird und Gleichheit gefordert wird (…) und dass die Option, die die Rechte dieser Menschen verteidigt, letztlich gewonnen hat, all dies sagt uns etwas“, kommentierte Pablo de Luca, Präsident der Gay-Lesbischen Handelskammer, über die Legalisierung der homosexuellen Ehe in Argentinien im Jahr 2010. Nach Angaben der Einrichtung stieg nach diesem legalen Fortschritt – der auch die Eheschließung von Ausländern ermöglicht -, der Gay-Tourismus von 18% der Gesamtbesucher im Jahr 2008 auf 21% im Jahr 2010 an, vor allem derjenigen aus Brasilien, den Vereinigten Staaten und Europa. In Mexiko ist Cancun eine sehr populäre Destination für die Gemeinschaft der Reisenden LGBT aus den Vereinigten Staaten, gefolgt von Mexiko-Stadt und Puerto Vallarta. Gleichzeitig beträgt der lokale Bevölkerungsteil 4,8 Millionen und erbringt jährlich 67 Milliarden Dollar. Brasilien zählt auf bereits bekannte Destinationen, sowohl wegen der Tage des Gay-Stolzes als auch wegen der Dichte der Tourismusprodukte für diese Gemeinschaft, zu denen Río, São Paulo, Salvador und Florianópolis gehören, das die Weltkonferenz des Gay-Tourismus IGLTA 2012 ausrichtet. Im Lande leben 8,7 Millionen LGBT-Konsumenten, mit Einnahmen von 95,8 Milliarden Dollar jährlich. Insgesamt sind Argentinien, Brasilien, Chile, Ecuador, Mexiko, Peru und Uruguay die Heimat von mindestens 25 Millionen Menschen dieser Gemeinschaft, ein reicher Markt, der sich noch stark entwickeln kann. In die Region kommen Unternehmen wie Axel Hotels, das auf das Gay-Segment ausgerichtet ist und sich als „hetero-friendly“ bezeichnet, und es erweitern sich die Reise-Webs, Kommunikationsmittel, Tourismusbüros, Handelsvereinigungen, Reiseführer, Routen und spezialisierte Reiseveranstalter, so wie auch Themen-Kreuzfahrtschiffe für LGBT-Reisende, wie die Kreuzfahrt durch die Karibik, die von Allure of the Seas organisiert wurde, oder das EGO, das im Dezember von Buenos Aires aus an Bord der MSC Opera abfuhr. Rosa Geld Viele Experten ordnen den LGBT-Konsumenten der Klasse DINKs zu (Dual Income No Kids = doppeltes Einkommen ohne Kinder). Im Schnitt verbraucht er für Reisen 40% mehr als die heterosexuellen Touristen, reist durchschnittlich 29 Tage im Jahr, ist nicht an Jahreszeiten gebunden und hält Marken und Destinationen die Treue, vor allem jenen, in denen die gay-friendly-Orientierung authentisch ist. Dies folgt aus Angaben der IGLTA, die Mitglied der WTO und zusammen mit ITB Berlin in ihrem Leitungsgremium vertreten ist. Das rosa Geld – wie in einigen Kreisen die Macht des Gay-Konsums genannt wird – ist heute eine immer größer werdende Versuchung für Unternehmen aus aller Welt. Die Messen widerspiegeln ihre wachsende Macht: Events wie Expo Gay in Torremolinos und „rosa Ecken“ oder Räume LGBT im Tourismussalon von Katalonien, FIT Buenos Aires, FITA México, ITB oder FITUR, die in diesem Januar die zweite Ausgabe von FITUR LGBT in einer der wichtigsten Gay-Destinationen ausführte, die Sitz von Events wie des anerkannten MADO (Madrid Stolz) und der Weltkonferenz des Gay-Tourismus IGLTA 2014 ist. Gay-friendly bezieht sich auf Orte, Politiken, Personen oder Einrichtungen, die aktiv versuchen, eine freundschaftliche Atmosphäre für Menschen dieser Gemeinschaft zu schaffen. Um das LGBT- Segment anzuziehen, genügen keine einfachen Marketing-Kniffe, gay-friendly-Etiketten oder korporative Websites mit den Regenbogenfarben. Es geht um anspruchsvolle Kunden, die sehr intelligent und forschend sind wegen der ungünstigen Umstände, unter denen sie im Allgemeinen leben. Sie zu enttäuschen, zu versuchen, sie zu täuschen, kann im Hinblick auf das markttechnische Kapital und das Image einen wesentlichen Verlust einbringen, in Zeiten, in denen der Kunde über die mächtige Waffe der sozialen Netze verfügt.

Jahresausgaben auf LGBT-Reisen (Milliarden Dollar) Vereinigte Staaten 51,2 Brasilien 20,4 Japan 18,4 Frankreich 11,5 Deutschland 11,4 Großbritannien 9,3 Italien 8,5 Mexiko 7,8 Spanien 6,4 Argentinien 3,8 Polen 3,7 Kanada 5,6 Australien 4,2 Niederlande 2,5 GESAMT 164,6 Quelle: Out Now Global / LGBT2020 Study