Heute sind alte Lokomotiven bedeutsame Museumsstücke; einige fahren sogar noch.

Sonntag, der 19. November 1837, Geburtstag Ihrer Majestät Isabella II. von Spanien. Trotz des seit den ersten Morgenstunden fallenden anhaltenden Regens und der für Kuba ungewöhnlich kühlen Temperatur drängt eine gespannte Menge in Richtung Zentrum der Antillenhauptstadt, genauer gesagt zum Bahnhof Parada Garcini, um die Abfahrt der ersten Lokomotive aus nächster Nähe mitzuerleben. Angekuppelt ist ein Wagen mit 70 Passagieren, die für diese ungewöhnliche Reise 20 Reales gezahlt haben, sowie ein einsamer Güterwagen. Die etwa 27 km lange Strecke führt zur Ortschaft Bejucal.

Ein historischer Tag. Seit diesen frühen Morgenstunden ist Kuba das sechste Land der Welt und das erste Iberoamerikas und der Karibik – sogar noch vor Spanien rangierend – das eine Eisenbahn sein Eigen nennt. Damit verschafft es der Lokomotive als einer jener Erfindungen Eingang, die die Weltwirtschaft des 19. Jahrhunderts prägen sollten.

Folgende fünf Länder waren Kuba vorausgegangen: Großbritannien am 27. September 1825, Frankreich und Österreich im Jahr 1828, die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 1830 und Deutschland 1835.

Acht Lokomotiven englischer Herstellung – sie heißen Cubana, Habana, Comisión, Villanueva, Herrera, Escobedo, Colón und Cervantes – warten auf ihren Einsatz in der künftigen Erweiterung des Eisenbahnnetzes der Antillennation.

In diesem Stil beschrieben möglicherweise die Chronisten jener Zeit den Beginn einer neuen Ära der Kommunikation in Kuba. Heute, im dritten Jahrtausend der Menschheit, sind es in Iberoamerika nicht wenige, die sich über das 11-jährige Zuvorkommen der spanischen Kolonie vor dem Mutterland – die Strecke Mataró-Barcelona gab es erst ab 1848 – wundern, und viele fragen sich nach den Gründen dieser offenbar widersprüchlichen Begebenheit.

Bei dem Chronisten Oscar Zanetti ist zu lesen: „Um die wirtschaftliche Notwendigkeit zu verstehen, warum gerade in Kuba – mit Bewilligung und Impuls der spanischen Krone – die erste Eisenbahn Iberoamerikas und der Karibik fuhr, muss man sich die Umstände vor Augen halten, als dieser Archipel der Antillen sich ungestüm entwickelte und zur Zuckerfabrik der Welt wird.

Durch die gebeutelte Unabhängigkeit der 13 englischen Kolonien und die Revolution in Haiti avancierte Kuba auf dem nordamerikanischen und den europäischen Märkten sehr schnell zum Hauptlieferanten für Zucker. Natürlich zogen Spaniens Kassen daraus ihren Nutzen.

Doch 1826 waren in Frankreich die ersten großen Rübenzuckerfabriken in Betrieb genommen worden, die viel billiger produzierten als es bei der Gewinnung der süßen Substanz aus Zuckerrohr auf dem Archipel der Karibik der Fall war. Die französische Konkurrenz hatte infolgedessen ihre Auswirkungen auf die kubanische Wirtschaft.

Wie kann der Zucker billiger produziert werden?, hieß nun der Wahlspruch auf Leben und Tod für die in der Gesellschaft Real Sociedad Económica de Amigos del País vereinten Plantagenbesitzer. Es gab einige Versuche, die jedoch scheiterten, bis man sich schlüssig wurde, dass die Lösung in der Einführung der Eisenbahn bestand, denn dadurch konnten die Kosten für den Transport, speziell von den küstenfernen Pflanzungen aus, gesenkt werden. Spanien brauchte dieses Transportmittel dringender in Kuba als im eigenen Lande. Es gab daher weder Bedenken noch Lamentos, die erste Eisenbahn in Iberoamerika auf dem Boden seiner letzten Kolonie in Amerika einzuführen.“

WIDRIGKEITEN Im April 1835 kamen die nordamerikanischen Ingenieure Alfred Krugery und Benjamin H. Wright nach Havanna, um die Bahnlinie nach ihrer Genehmigung durch die im sogenannten Förderungsausschuss vereinten Ämter in Angriff zu nehmen. Diesem Ausschuss oblag dann auch offiziell die Oberaufsicht und Kontrolle des Projektes.

Die Arbeiten liefen an; doch auf Befehl des Gouverneurs Don Miguel Tacón mussten sie kurz darauf wieder gestoppt werden, solange die abgesteckte Trasse nicht umgeleitet würde. Die Militärs argumentierten, sie verlaufe zu nahe an einer bedeutenden Festung Havannas, dem Castillo del Príncipe.

Es blieb nichts anderes übrig als zu gehorchen, und schließlich änderte der Förderungsausschuss den Verlauf des Schienenweges, obwohl das Objekt im Vergleich zu seinem Voranschlag dadurch teurer wurde.

In der Folge waren zwei Monate vor Fertigstellung der Strecke La Habana-Bejucal die Mittel erschöpft. Eine neue Anleihe bei dem britischen Bankier Alexander Robertson musste aufgenommen werden. Dieser erklärte sich bereit, verlangte aber im Gegenzug eine Erhöhung der Zinssätze.

Mitte 1837 setzten nun die Arbeiten an den Bahnhöfen, den Lagern und Werkstätten beschleunigt ein. Eingestellt wurden zwei britische Maschinisten sowie Zugpersonal, Streckenwärter, Lagerwächter und andere.

Schließlich wurde trotz der genannten Probleme alles rechtzeitig fertig.

GERANGEL GEGENSÄTZLICHER INTERESSEN

Bei der Fertigstellung der Eisenbahnstrecke zwischen der kubanischen Hauptstadt und der kleinen 29 Kilometer außerhalb gelegenen Ortschaft Bejucal zeigte sich ein taubes Gerangel gegensätzlicher ökonomischer Interessen: derer Großbritanniens und der Interessen der entstehenden Wirtschaftsmacht der Vereinigten Staaten.

Ihre Rivalität zeigt sich in folgenden Aspekten:

- Bestandteil der anfänglichen Verhandlungen mit den spanischen Behörden bildeten u.a. acht englische Lokomotiven, die im Nachhinein von dem nordamerikanischen Ingenieur Krugery als unbrauchbar bezeichnet wurden. Die Regierung Ihrer Majestät von Großbritannien nannte das Ganze eine Sabotage. - Mit dem englischen Kapital erwarben die beiden nordamerikanischen Ingenieure in den Vereinigten Staaten hergestellte Baldwin-Lokomotiven. - Trotz allem behielten die Londoner Interessen die Kontrolle über die Eisenbahnstrecken im Westteil Kubas. Ihre Kontinuität in diesem Sektor basiert auf ihrem Verhältnis zu den kubanischen Plantagenbesitzern, den Verbindlichkeiten Spaniens gegenüber Großbritannien und der Lieferung von Inputs und Maschinen britischer Herstellung für die Zuckerindustrie. Bei der Einführung der ersten Eisenbahn Iberoamerikas und der Karibik standen sich also zwei Mächte gegenüber.

DIE VORGÄNGER

Die erste Lokomotive wurde im fernen Jahr 1804 im Vereinigten Königreich Großbritanniens und Nordirlands gebaut. Sie war das Werk des englischen Ingenieurs Richard Trevithick. Nach deren Anfangserfolg wurden unterschiedliche Modelle gebaut, vor allem für ihren Einsatz im Bergbau, doch die Ergebnisse waren recht bescheiden.

Erst im Jahre 1829 erschien in Großbritannien eine Lokomotive, die Passagiere und Fracht gleichzeitig zu befördern in der Lage war. In jenem Jahr wurde die Rocket (Rakete), konstruiert vom Ingenieur George Stephenson, Sieger in einem von der Firma Liverpool and Manchester Railway gesponsertem Wettbewerb.

Die neue Maschine beförderte das Dreifache ihres Eigengewichts an Fracht bei einer Geschwindigkeit von 20 Stundenkilometern und einen mit Passagieren vollbesetzten Wagen bei 39 Stundenkilometern.

Auf der anderen Seite des Atlantik wurde zur gleichen Zeit im pennsylvanischen Honesdale die Stourbridge Lion als erste Lokomotive der westlichen Hemisphäre getestet.

Sie war ein englisches Fabrikat, doch bereits ein knappes Jahr darauf begann man mit ihrer Konstruktion in den Vereinigten Staaten. Acht dieser Maschinen wurden später auf den ersten Eisenbahnstrecken Kubas eingesetzt.