Kugel auf dem Landgut Victoria. Der Fund von Kugeln mit eingeritzten Figuren zeugt von einer maximalen Kommunikativität dieser Skulpturen, in denen Form, Farbe, Größe, Oberflächenbeschaffenheit und Bildmotiv zusammenfließen
Kugel aus rostfreiem Stahl von 6m Höhe, die im Jahr 2010 am Eingang zum Nationalmuseum von Costa Rica aufgestellt wurde. Sie schützt in ihrem Inneren eine der präkolumbinischen Kugeln als Symbol des Schutzes der Kultur und des Vermächtnisses durch diese Einrichtung
Die Kugel Palmar Sur
Kugel, die in der Technisch-Professionellen Schule von Osa steht

Zwar handelt es sich nicht um die mysteriösen Dickköpfe der Osterinseln, und auch nicht um die Figuren von Nasca, aber dennoch sind die runden Steine Costa Ricas umgeben von einem Hauch des Unbekannten. Wer fertigte sie einst an, wie, und warum?

Die Kugel hat immer schon die Einbildungskraft verführt. Ihre perfekte Form hat Alchimisten und Esoteriker inspiriert, und die Mythen erstrecken sich über die Jahre, vor allem, wenn sie inmitten der Naturlandschaft „erscheinen“.

Die Spekulationen über Ursprung und Zweck der Steinklicker von Costa Rica beruhen auf Legenden und werfen Fragen für wissenschaftliche Analysen auf. Einige wollten in ihnen die Hand der Abkömmlinge des sagenhaften Atlantis wiedererkennen. Andere eine simple und wundervolle geologische Naturformung. Deshalb spricht man, in der Absicht, den Stein weichzuklopfen und endgültig herauszufinden, was sich in seinem Inneren verbirgt, von Geheimnissen, von außerirdischen Eingriffen oder Energieachsen, die komplementär mit den Zeichnungen von Nasca und den Statuen der Osterinseln sind. Gleichermaßen werden sie für Territorialbegrenzungen, Gedenksteine, die Repräsentation der femininen Ewigkeit, Navigationshilfsmittel oder Artefakte zur Wahrung des tektonischen Gleichgewichts, perfekte Symbole der Göttlichkeit, Quellen der Energie und des Wohlstands und sogar für Brücken in andere Dimensionen gehalten.

Innerhalb der indigenen Tradition herrscht die Legende vor, es handele sich um Kanonenkugeln des Donnergottes Tara oder Tlachque, welcher sie mittels seines Blasrohres gegen die Serken, die Wind- und Hurrikangötter, gefeuert habe.

Ist die Wahrheit dort draußen zu finden?

Die bislang am wenigsten widerlegte Hypothese besagt, dass die Steinkugeln Bestandteile mehrerer astronomischer Gärten sind, die an landwirtschaftliche Zyklenkalender gebunden sind und zugleich eine Beziehung zu den gesellschaftlichen Rängen innerhalb der Stämme aufweisen.

«In pseudowissenschaftlichen Erklärungsversuchen besteht kein wirkliches Interesse an einer Information über den Hintergrund der Kugeln. Normalmente lo soslayan argumentando la escasez de datos o que no hubo una necesaria relación entre estas y los vestigios arqueológicos que se han encontrado junto a ellas. Üblicherweise wird ausgewichen mit Hinweis auf die dürftige Datenlage und darauf, dass nicht notwendigerweise ein Zusammenhang zwischen ihnen und den archäologischen Spuren, die neben ihnen gefunden wurden, besteht.

Indem man die Kugeln aus ihrem Kontext reißt, reißt man sie zugleich aus ihrer Geschichte und den Sozialbeziehungen heraus, in die sie eingebunden waren“, erklärt Ifigenia Quintanilla, Diplomanthropologin und -archäologin, in einer Befragung für diese Reportage.

Ihre Bedeutung könnte über die Grenzen des Territoriums von Costa Rica hinausgehen, denn es gibt Hinweise auf die Präsenz von aus Guatemala stammenden Mayas, von Olmeken und Azteken, die vom mexikanischen Gebiet herkamen, Chibchas aus Kolumbien und sogar Quechuas und Inkas aus dem fernen Peru.

In den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts entdeckt, wurden einige Kugeln gesprengt, in der Hoffnung, sie könnten Gold enthalten. Seit 1970 sind sowohl die Steine als auch die Orte, an denen sie sich befinden, geschützt, und das Gesetz unterstützt die Rückführung der von ihrem Ursprungsplatz entfernten Objekte.

Die auch „Costa Rica-Murmeln“ genannten Objekte weisen einen Durchmesser von zwischen 10 cm und 2,57 m auf, und ihr Gewicht kann über 16 Tonnen betragen. Ihre Annäherung an die perfekte Kugelgestalt wird mit mehr als 90% beziffert. In ihrer Mehrzahl sind sie aus harten Gesteinen wie Granodiorit oder Gabbros hergestellt, in wenigen Fällen aus Kalkschiefer. Man vermutet, dass die Indigenen sie während einer Zeitspanne im Gebiet verteilt haben, die sich von der Ära vor bis nach Christus erstreckt.

Da zu Symbolen der nationalen Identität Costa Ricas geworden, wurden sie im Jahr 2010 von Spezialisten im Hinblick auf ihre Eignung als Weltkulturerbe unter Schutz der UNESCO untersucht. An Haus- und Gebäudeeingängen findet man üblicherweise Nachbildungen in Stein, Bronze, Stahl, Glas oder Stahlbeton. Die Kugeln haben eine kulturelle Konnotation erlangt, die sonst nur bei Kunstwerken der Bildhauerei, Literatur oder Architektur denkbar ist: sogar auf dem 5000-Colones-Geldschein, der nationalen Währung, sind sie abgebildet. Was die Frage angeht, wie sie an ihren derzeitigen Standort gekommen sind, so ist doch wohl zu vermuten, dass dies rollenderweise geschah – wie auch sonst?

Sich um sich selbst drehend

Das überraschende „Auftauchen“ der runden Steine in der Naturlandschaft Costa Ricas, die an sich schon kontrastreich und verführerisch ist, macht den kleinen Unterschied des Geländes aus.

Auf Initiative des Nationalmuseums ist die Schaffung eines Kugelparkes, auf annähernd 10 Hektar und in vier Sektoren eingeteilt, angedacht. Im ersten davon wird man fünf Exemplare in situ betrachten können, die in einer klaren Linie perfekt aneinandergereiht sind, während im zweiten Sektor zwei Hügel von 25m Durchmesser und weitere diesen Einzelkugeln zugeordnete Strukturen vorzufinden sind. In einem dritten Bereich werden die Steinkugeln zu bewundern sein, welche entfernt wurden und dann später wieder geborgen werden konnten. In einem vierten Bereich sind gefundene Keramikfragmente ausgestellt.

Ein Wanderweg, möglicherweise nach präkolumbianischer Art, verbindet die wichtigsten Punkte des Parks. Dieses Vorhaben erlaubt es gleichermaßen, die kugelgestaltigen Monolithen zu schützen, als auch die Beobachtung durch Wissenschaftler und Interessierte zu erleichtern.

Was die Zukunft der Steine betrifft, erklärt die Forscherin Quintanilla dass „Sinn und Bedeutung der Kugeln im Laufe des Zeitraum von fast tausend Jahren, in dem sie hergestellt und benutzt wurde, sich gewandelt haben. Auch heute noch schaffen sie ständig neue Formen von Wert (hinsichtlich Identität, Prestige, Selbstverständnis, Schaffung eines Heimatgefühls, und anderen). Heutzutage, wie vielleicht auch in vergangenen Jahrhunderten, werden die großen, die vollständig erhaltenen und mit feinen Oberflächen versehenen Kugeln mehr geschätzt, für wertvoller und bedeutsamer gehalten. Die zersprungenen oder beschädigten, die kleinen oder unsymetrischen, erscheinen nicht auf Photos und niemand posiert an ihrer Seite.

Nichtsdestotrotz hat jede einzelne von ihnen einen Wert über das Subjektive oder Ästhetische hinaus, einen Wert, der darin besteht, dass sie als einzigartiger Ausdruck und Vergegenwärtigung einer Lebensgeschichte existieren, die sich bis in unsere heutige Zeit fortsetzt. Die präkolumbianischen Kugeln definieren sich durch vielerlei – heute definiert sie unser Blick auf sie.“

Ebenso wie andere Hinterlassenschaften der präkolumbianischen Kulturen, wie verlassene Städte, große Tempelanlagen und Pyramiden oder ausgeklügelte Kalender, potenzieren die Steinkugeln jegliche Art von Wahrnehmung, von der mystischen Ableitung bis hin zum reinen ästhetischen Genuss.

Die in abstrakter Perfektion gerundeten Steine stehen wie eine symbolische Erinnerung an die vergangene Kultur unserer Ahnen vor uns, deren Seelen bis in unsere heutige Zeit gerollt sind, um eine einzigartige und unverwechselbare Besonderheit der sagenhaften Landschaft von Costa Rica dazustellen

Don México und die Steinkugeln

Ifigenia Quintanilla berichtet von einem kuriosen Fall, wie ein guter Wille sich auf das Kulturerbe auswirken kann. Eine Rolle spielt dabei die Nationale Bananenkooperation CORBANA. Einer ihrer Angestellten schickte einen älteren Arbeiter, einen als „Finca 6“ bekannten Ort zu säubern und herzurichten. Don Mexico, wie er genannt wird, traf aus seinem Willen und seinem guten Geschmack heraus seine eigenen Entscheidungen. Es erschien ihm nicht in Ordnung, dass fünf der sechs zu diesem Zeitpunkt in dem Gelände bekannten Kugeln von Erde bedeckt seien und entschloss sich, sie „hübsch zu machen“. Er brauchte nicht einmal einen halben Vormittag, um die erste Kugel auszugraben, was eine Art Mondkrater zum Ergebnis hatte. Zum Glück ist der archäologische Grund im Bereich von Finca 6 zwischen 120 und 150 cm tief. Alles, was darüber liegt, ist ein über 1000-1200 Jahre angelagertes Füllsediment. Don México entfernte diese Füllschicht, gelangte bis auf den Paläoboden und «putzte ihn heraus».

Da er nicht von der Absicht getrieben war, etwas gezielt zu zerstören, wurde er nicht der Beschädigung von archäologischem Kulturerbe angeklagt. Seine damalige Rechtfertigung zeugte von einer Mischung aus Naivität, Schuldlosigkeit und normalem Bauernverstand. Ihn so zu hören und dabei seinen von der Sonne und den Jahren mitgenommenen Körper zu sehen, gab einem den Impuls, ihn schnell aus seiner Grube hoch holen zu wollen, ihm zu sagen, er solle sich ausruhen und sich keine Gedanken machen, niemand käme auf die Idee, ihn zu entlassen, die Sache werde sich damit erledigen, dass man die Erde zurück an ihren ursprünglichen Platz schütte. So geschah es, und die Kugel ist noch heute an ihrem Platz, aufs neue bedeckt. Don México war es vollkommen unverständlich gewesen, dass es sich hier um ein einzigartiges Gesamtarrangement handelt, und dass andere seiner Art beim Versuch, die Kugeln zu entfernen, zerstört worden waren.