Auf beiden Seiten Bilder der natürlichen Werte des Gebietes um den Ort Cabañas. Auf diesem Bild: El Castillo de las Nubes

Den westlichen Teil Kubas bildet die Provinz Pinar del Río. In sozialer und ökologischer Hinsicht ist es eins der interessantesten Gebiete der Insel. Die Nähe zur Hauptstadt Havanna und das Vorhandensein einer guten Autobahn macht diese Region zu einer attraktiven neuheitlichen Destination.

König der Autobahn Eine Fahrt durch Kuba kann zu einem scheinbaren Genuß werden. Hat man den Umkreis der Städte hinter sich gelassen, geht die Fahrt weiter über eine sechsspurige Autobahn bei fast keinem Verkehr. Die Autobahnen wurden während der Kooperationsjahre mit den Ländern des sozialistischen Lagers angelegt und befinden sich weiterhin generell in einem guten Zustand, doch die Benzinpreise lassen die Kubaner schon überlegen, bevor sie den Motor starten. Wir verlassen Havanna in westlicher Richtung und fahren auf der Autobahn, die nach Pinar del Río führt. Wir begeben uns also ins westliche Kuba mit vielbesuchten touristischen Orten; doch gleichsam geben wir Anregungen zu schönen Stätten, an denen man schwerlich Ausländer antreffen wird. Unsere Reiseroute lautet: Soroa, Sierra del Rosario und der an der Nordküste befindliche Ort Cabañas. Recht bald passieren wir Bananen- und Limettenpflanzungen mit den Bergen im Hintergrund; vorbei an Tabaklagerhäusern, Reis, der an der Landstraße zum Trocknen ausgebreitet liegt, und Palmenhainen. Unsere Fahrt führt nach der Sierra del Rosario, deren fast blaue Berge sich dem Blick des Reisenden von der Autobahn aus wie ein Gebirgsvorhang mit einander abwechselnden Spitzen und Kämmen darbieten. Pkw's sind selten, noch seltener die Busse. Man fühlt sich als König der Landstraße, denn man meint, man habe eine ganze Autbahn für sich allein. So kann es kilometerweit gehen. Doch Vorsicht! Kuba ist auch das Königreich der Radler, die es gewohnt sind, nach Gutdünken zu fahren, denn der spärliche Verkehr gibt ihnen jene Sicherheit. Auch häufig trifft man auf mitten auf der Straße haltende Lkw's, um die sich Mitfahrer scharen. Auf der die Küste entlang führenden Straße nach Cabañas, auf der der Verkehr noch dünner ist, mußte ich sogar Baseball spielenden Jungen hupen. Deshalb setzte ich zu Beginn das Wort "scheinbar" hinzu. Unter den Brücken der Abzweigungen in die Ortschaften links und rechts der Hauptachse, die die Pinarer Autobahn geworden ist, sind Menschen aller Altersstufen anzutreffen, die auf eine Transportmöglichkeit warten. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann zögern Sie nicht, jemanden mitzunehmen, denn damit tun Sie einen großen Gefallen und fühlen sich etwas mehr als Kubaner, indem Sie dem "legalen" Gebot der Hilfeleistung bei freiem Platz nachkommen. So reisen Sie in Begleitung eines wahrscheinlich recht sympathischen Menschen bei voller Sicherheit. Auch die kubanischen Landstraßen sind von dem besonderen Ambiente gekennzeichnet, das die Aufmerksamkeit des Fremden erregt. Hinzufügen könnte ich hier noch die an den Straßenseiten angebrachten Plakate, Transparente und Propaganda des revolutionären Empfindens, damit niemand vergißt, wo er sich befindet.

Candelaria Ungefähr 70 km von Havanna entfernt zweige ich links ab und fahre in den Ort Candelaria. Man kann nicht sagen, daß diesem Ort etwas Besonderes anhaftet, doch er besitzt eben alle Besonderheiten der kubanischen Ortschaften. Auf seinen Hauptstraßen treffen wir auf eine ganze Anzahl Radler. An Autos fährt nur das meine. Es ist die Nacht der Santa Bárbara - Shangó in der afrokubanischen Religion. In allen Vierteln der Städte und in den Dörfern werden Riten abgehalten, man muß nur den Ort erkunden. Ich gehe zu den Negern, die ihren Shangó ehren. An der Haustür eine Gruppe Männer mit Schlaginstrumenten, einen teuflischen Rhythmus vorgebend und begleitet von Lobgesängen in der Sprache der Yoruba. Die Anwesenden bilden einen Kreis, in dessen Mitte die Tanzenden nach und nach in Trance geraten. Man berichtet mir von einem anderen Ort mit einem Altar und Santa Bárbara in Lebensgröße und ich begebe mich dorthin. Es ist das Haus einer weißen Familie, und die meisten der dort Anwesenden sind ebenfalls weißer Hautfarbe. Um den mit Tüll dekorierten luxuriösen Altar herrscht tiefes Schweigen. Vor die Heilige wird Obst gelegt, Pasteten und eine große Torte. Um Mitternacht wird ein Mädchen als Santa Bárbara gekleidet, ganz in Rot. Das todmüde Kind fällt vor der Ikone auf die Knie, und so erfüllt sich das Gelübde, das die Mutter des Mädchens der Heiligen ablegte. Ich bleibe eine Weile, doch zieht es mich zu dem Wirrwarr des Festes der Neger, wo eine vom Geist des "Toten" Besessene mit den Händen über mich streicht, um mich von schlechten Einflüssen zu reinigen und gegen böse Blicke zu schützen. Welch ein Glück!

Soroa - Blumen und Wasser Ich kehre zur Autobahn zurück und biege rechts ab nach Soroa, einer touristischen Anlage in den Bergen der Sierra del Rosario. Die Straße führt ziemlich steil die Berglehne hinauf, unter roten Flammenbäumen und Schneebäumen, die in dieser Jahreszeit voller weißer Blüten sind. Der Tropenwald wird sehr viel dichter. Wir begeben uns in ein Naturreservat mit beeindruckenden ökologischen Attraktionen, weshalb es von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt wurde. Ich besuche das Orchideenaufzuchtzentrum. Die Führung übernehmen junge Botanikerinnen, die hier ihr Praktikum absolvieren. Ihre Erläuterungen sind, wenn auch recht fachlich, so doch verständlich. Ich erfahre über Hunderte von Orchideenarten sowie über viele in der Orchideenfarm von Soroa vorzufindende Pflanzenarten. Hin und wieder flattert ein zum-zum zwischen den Blumen; der Zunzuncito (kleiner Schimmerkolibri) ist ein drei Zentimeter großer Kolibri und der kleinste Vogel der Welt. Seinen Namen verdankt er dem Geräusch seiner Flügel, die er im Fluge und auch auf der Stelle bewegt. Hinter all jener üppigen Vegetation und der großartigen Landschaft verbirgt sich eine unglückliche und bewegende Geschichte von Elternliebe. Es schaudert einen, wenn man hört, daß der Begründer all dessen, ein begüterter spanischer Anwalt, 1943 beschloß, zu Ehren seiner verstorbenen Tochter, die Orchideen sehr liebte, einen exotischen Garten anzulegen. Jede Blume bedeutete für ihn ein Hauch Leben, den er seiner verschiedenen Tochter hätte übertragen wollen. Entlang der ziemlich steilen Bergstraße weiter nach oben gelangt man zum Restaurant El Castillo de las Nubes (Das Wolkenschloß) in einem seltsamen Steinbau mit wunderschönem Blick über die Landschaft, im Norden die Bergwelt voller Palmen und im Süden die bis ans Meer reichende Savanne. Bei guter Sicht erblickt man die nahegelegene Isla de la Juventud. Auf der anderen Seite der kleinen Landstraße befindet sich der Wasserfall, zu dem ein Waldweg führt. Über ein paar Hundert Stufen gelangt man zum Oberen Teil des 21 Meter hohen Wasserfalls des Flusses Manantiales. Zehn Minuten später steigen wir hinunter; dort hat sich ein Naturbassin gebildet, in dem man baden kann und von wo aus der Wasserfall einen noch schöneren Anblick bietet. Vernimmt man die Anzahl der Stufen, die man hinauf- und hinabsteigen muß, nimmt ein mancher Abstand davon. Doch ich meine, es lohnt sich schon und ist auch nicht zu anstrengend; nur eben ein bißchen sportliche Betätigung. Doch sollten man Insektenschutzmittel nicht vergessen! Hätten Sie gern eine Massage, so finden Sie am Eingang eine Einrichtung im Stil eines römischen Bades vor, in der Sie für 5,00 USD von Fachpersonal betreut werden und die Sie danach als ganz neuer Mensch verlassen. Die Anlage am Wasserfall verfügt ebenfalls über eine Bar, eine Cafetería und Souvenirshop. Das einzige Hotel dieser Zone ist das Villa Horizontes Soroa (Tel.: 85-2122 / 2041) mit 49 Zimmern in Bungalows an einem ausgezeichneten Swimmingpool und 10 Häusern unterschiedlicher Größe für Gruppen von 4 bis 10 Personen, all das in das wunderbare natürliche Umfeld integriert. Ruhe und Frieden sind allen garantiert; sowohl jenen, die nicht viel unternehmen möchten, als auch Liebhabern diverser Aktivitäten wie Wandern, Hinabsteigen in die Cañons, Reiten, Besuch in Bauernhütten usw.

Sierra del Rosario Ich fahre die kleine Straße weiter und halte an einer Bauernhütte. Das hier lebende Ehepaar stellt Holzkohle her; pflanzt, trocknet und röstet seinen Kaffee, zu dem sie mich einladen. Es wird nicht in der Kaffeemaschine zubereitet und schmeckt natürlich ganz anders. Sie züchten auch ihre Tiere selbst, sind faktisch Selbstversorger. Das müssen sie auch sein, denn die Sierra del Rosario ist eine fast unbewohnte Gegend. Die schmale Landstraße führt immer weiter in die vom Grün überfließenden Berge. Absolute Königin der Landschaft ist die über 20 Meter Höhe erreichende Königspalme, die auch im kubanischen Wappen zu finden ist. Ein paar junge Kubaner sitzen auf dem Asphalt. Ich halte an und beginne ein Gespräch. Es sind Schüler der Mittelstufe, die ihren Landeinsatz, der einmal jährlich einen Monat lang stattfindet, diesmal bei der Kaffeernte absolvieren. Es ist dieses eine Form, die Arbeit des Bauern schätzen zu lernen; denn er ist es ja schließlich, der uns die Nahrungsmittel liefert. Alle mögen diesen zum Unterricht gehörenden Teil, wenngleich auch viele eine Universitätslaufbahn anstreben. Weiter vorn sehe ich ein Schild, auf dem La Hacienda steht. Ich gehe hin und erlebe eine angenehme Überraschung. Es ist ein wiederhergerichtetes und zu einer Landgaststätte umgeformtes Bauenhaus. In seinem Umfeld bewegen sich Hunderte Exemplare von Federvieh: große Gänse, Enten, Hühner, Fasane und Puten. Telefon ist hier nicht vorhanden, doch da die Gaststätte vom Hotel Moka (Tel.: 33 55 16) abhängt, gibt es Verbindungsmöglichkeiten. Das Essen ist gut, und wenn Sie Glück haben, serviert man Ihnen ein Kokosdessert. Es sind auch ein paar Zimmer zu vermieten. Sechs Kilometer weiter liegt der kleine Ort Las Terrazas. Seine Einwohner leben alle auf die eine oder andere Weise vom Ökotourismus; deshalb sind sie die Ersten, die auf den Schutz ihrer Natur bedacht sind und die die hiesigen Anlagen in tadellosem Zustand halten. Der Stolz der Zone ist das Hotel Moka, absolut perfekt in das natürliche Umfeld integriert mit Öffnungen für die riesigen Bäume, deren Wuchs zwischen den Wänden nicht eingedämmt wird; Dächer, aus denen eine Baumkrone ragt; Fenster, in denen ein Zweig zu sehen ist... Das Hotel steht auf einer Anhöhe. Dahinter breitet sich ein idyllisches Tal aus mit kleinen Bächen, Seen und Schluchten. Irgendjemand erwähnt eine Schlucht, die ebenso schön sein soll wie der Wasserfall von Soroa, oder vielleicht noch schöner, nur eben viel unbekannter. Ihr Name ist Charco Azul (Blauer Teich). Ein jeder kennt den Weg dorthin, denn die Kubaner verbringen hier einen Tag ganz naturverbunden. Der Fluß San Juan führt Heilwasser und fällt über eine Reihe kleiner Kaskaden in den Charco Azul, der unten ein wunderbares Naturbassin zum Baden bildet, denn das Wasser ist nicht kalt. Über einen Asphaltweg gelangt man zu einer Anlage mit Bar und Aussichtspunkt. Es ist ein sehr schöner, dem Auslandstourismus faktisch unbekannter Flecken. Wieder auf der Landstraße fahren wir nach Norden in Richtung Cabañas. Nach und nach verlassen wir die Berge und erblicken im Hintergrund das grüne Meer der Zuckerrohfelder. Wir begegnen Rinderhirten auf ihren kleinen Pferden und Bauern mit Ochsenkarren.

Cabañas Cabañas besitzt eine interessante sackförmige Bucht mit vielen Keys und einem herrlichen Karibikstrand. An der Bucht gibt es noch sehr verwilderte Streifen mit ausgedehntem Mangrovendickicht. Mit Motorboot und Führer kann man zu kleinen, von diesem oder jenem einsamen Fischer bewohnten Inseln fahren oder auch in das Mangrovendickicht eindringen. Der Strand ist 8 km von der Ortschaft entfernt und heißt seiner Form entsprechend Playa La Herradura (Das Hufeisen). Davor liegt ein schützendes Korallenriff. Das Wasser ist blau und sauber, und Bäume werfen ihre sonnenschützenden Schatten bis fast ans Ufer. Die wenigen Leute hier sind alle Kubaner, denn dieses wunderschöne Fleckchen am Meer ist in keinem Reiseführer zu finden. Auf dem Weg zum Strand steht am Ausgang der Ortschaft der Komplex der Zuckerfabrik mit eigenem Eisenbahngleis für den Transport des Zuckerrohrs von den Feldern bis zur Verarbeitung hier. Die Lokomotiven sind echte Reliquien, die für sich allein schon ein Eisenbahnmuseum sind. Maschinen von Anfang des Jahrhunderts, die immer noch funktionieren in diesem unglaublichen Kuba, wo jegliches Transportmittel auf der Basis des "Erfindens" von Ersatz- und sonstigen Teilen in die Ewigkeit eingeht. Der Zuckerfabrik gegenüber steht eine Reihe von Holzhäusern. Es war dieses das Viertel der Sklaven, deren Nachkommen heute noch hier wohnen, und dank dieses Umstandes stehen diese Häuser noch. Die Kinder merken, daß ich sie fotografiere. Das spornt sie an, mir zu folgen. Ich gebe ein Bild ab wie der Rattenfänger von Hameln. Es gefällt mir sehr, daß sie alle mit mir gehen.