Menschliche Landschaft
In Las Terrazas anzukommen, gleicht einer Zeitreise in die Zukunft. Heute eine der unverfälschtesten touristischen Sehenswürdigkeiten in Kuba, handelt es sich bei diesem Ort keinesfalls um eine Kunstwelt. In seinen wesentlichen Grundzügen besteht er schon seit Jahrzehnten in der heutigen Weise.
Wenige Kilometer von Havanna entfernt, existiert diese Oase des Friedens in scharfem Kontrast mit dem rastlosen Gewimmel der kubanischen Hauptstadt. Hier singt die Bergesruhe ein Schlaflied, und die Landschaft besänftigt. Schon auf den ersten Eindruck, den dieses harmonische Zusammenspiel von Stadtleben und Natur vermittelt, ist dieser Fleck von einfachen und fröhlichen Menschen beseelt, die ihn bewohnen, so wie Polo Montañez, der viel zu früh verstorbene populäre Musiker, der bis heute der Stolz der Region und der ganzen Nation ist. Während die Stunden langsamer voranschreiten als anderswo, ergreift die Magie von Las Terrazas den Geist - mit seinen langen Bäumen, die sich mit den weißgetünchten Gebäuden mit ziegeldeckten Satteldächern verflechten, und mit dem verführerischen San Juan-See. Die stehengebliebene Zeit des kubanischen Landlebens teilt mit der Moderne hier ein und denselben Raum. Aus dem möglichen Dialog zwischen Mensch und Natur entspringt diese humane Landschaft.
Am Anfang stand der Kaffee
Die regionalen Ursprünge verbreiten Kaffeeduft. In den Ruinen der alten Kaffeeplantagen aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts, Eigentum französischer Kolonialisten, die nach der haitianischen Revolution von den Antillen ausgewandert waren, wird die Erinnerung an den Glanz dieser Ländereien greifbar. Die archäologischen Ausgrabungen zeugen von Ernte- und Produktionsmethoden, die auf Sklavenarbeit basierten, und unter ihnen wecken die im Kreis bewegten Tahona-Mühlsteine, mit denen die Früchte ausgekörnt wurden, besondere Aufmerksamkeit.
Es war gerade die zerklüftete Berglandschaft, die entflohenen Sklaven als Rückzugsgebiet diente, welche dann als sogenannte Cimarrones hier lebten und Nachkommen zeugten.
Sie begünstigte auch die Truppen der Mambizen beim Aufschlagen ihrer Lager, von deren regelmäßigen Zusammenstößen mit den spanischen Streitkräften während des Unabhängigkeitskrieges gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Wildnis noch Spuren erhalten geblieben sind.
Das Buch Gespräche in Las Terrazas des Autors Reynaldo González gibt einige Zeitzeugenberichte der alteingesessenen Bewohner der Gegend wieder. Sie berichten von ihrer prekären Existenz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, beschreiben die Mühen der Köhlerei und die Bodenerosion, die vom rücksichtslosen Fällen von Nutzholzbäumen provoziert und von den unbarmherzigen Wirbelstürmen und Überschwemmungen begünstigt wurde. Ihre Worte sprechen aber auch von der Erosion, die die Menschen betraf. Mit dem Aufbauplan Sierra del Rosario, welcher 1968 begonnen wurde und eine intensive Terrassenbautätigkeit mit sich brachte, begann das Leben der örtlichen Bevölkerung und ihrer Umgebung sich zu verändern. 1971 erblickte die Kommune das Licht der Welt, ein wahrhaftes Beispiel für die gelungene Integration von Stadt und Natur, unter anderem, da beim Bau der Wohnungen auf die traditionelle Siedlungsstruktur der Bauern geachtet und sie in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit von Terrassen untergebracht wurden.
Des Volkes Stimme
Wenn man den kleinen Kevin fragt, was er in Las Terrazas mache, so antwortet er, ohne zu zögern: «Dies ist mein Land» und schaut dabei fest und selbstbewusst drein. Gleiches ist den beiden kleinen Mädchen anzusehen, die vor der Veranda des Hauses von Polo Montañez für ein Foto posieren, als sei dies die normalste Sache der Welt. Die Dorfbewohner haben in ihren Alltag die tägliche Ankunft von Touristen, wie sie seit den neunziger Jahre zu verzeichnen ist, aufgenommen, ohne sich davon allzu sehr im Lebensrhythmus stören zu lassen. Diese Wirtschaftstätigkeit ist heute ein fester Bestandteil im ganzheitlichen Entwicklungsprogramm, welches in den sechziger Jahren begann und auf direkte oder indirekte Weise einen Großteil der Bevölkerung einbezieht.
Auf dem Dorfplatz, der als das soziale Zentrum des Ortes betrachtet werden kann, ist die Anstrengung der täglichen Werktätigkeit zu spüren. Man geht ins Klubhaus, um sich ein Erfrischungsgetränk zu holen und erkundigt sich im Vorbeigehen über das Programm, das eine Jugenddisko und eine Erwachsenendisko ankündigt. Letztere wird die «Tembadisco» genannt, denn in Kuba wird jeder in den späten Dreißigern als «Temba» bezeichnet. Andere gehen einkaufen, während in einer kühlen Ecke, im Schatten, Domino gespielt wird.
Der achtzigjährige Margarito Barbosa lässt seine Jugend wiederaufleben und lächelt breit, als er sich daran erinnert, dass er einmal zum Bürgermeister auf Lebenszeit ernannt wurde, und an andere Schwänke aus seiner Jugend. Selbst Mitbegründer der Kommune, ist sein Bericht heute lebendige Geschichte. Sein herangewachsender Enkel ist als Mitglied des Dorfes angesehen, denn dort hat er die Grund- und Mittelschule besucht, und bereitet sich auf weitere Berufungen vor, mit festem Blick auf die Medizin, zumindest bis jetzt.
Mit einer überwiegend jugendlichen Bevölkerungsstruktur beschäftigt Las Terrazas viele seiner Bewohner im Bereich des Tourismus, aber stets in einem familiären und gemeinschaftlichen Sinne. In seinem Café de María brüstet sich Juan Miguel Miranda mit seinen einzigartigen Rezepten. Tito, wie er von Kindesbeinen an heißt, und Adalina, seine Ehefrau, setzen mit einem bäuerlichen Touch die von seiner Mutter, María begründete Tradition fort.
Die Touristenführerin Cecilia Charlón macht ihrem Namen alle Ehre, denn sie hält uns eine lange charla (spanisch: Vortrag) über den Ort. Sie vermag jede einzelne Pflanze aus der Vielfalt der umgebenden Bäume und Blumen zu identifizieren und grüßt dazwischen jeden Nachbarn, der ihr über den Weg läuft.
Die freundlichen und einfachen Leute von hier nehmen den zunehmenden Touristenzustrom mit der gleichen Natürlichkeit auf, die man in der ganzen Landschaft einzuatmen scheint. Und gleichzeitig halten sie ihr Heimatgefühl aufrecht. Nachzulesen ist dies in El Terracero, in der Machart der dörflichen Zeitungen des 19. Jahrhunderts, in denen sich die Vorkommnisse des Landstrichs aufgeführt finden. Aus den Schriftbeiträgen der Mitarbeiter der Kommune tönt die Stimme eines Volkes, dass authentisch ist aufgrund der Landschaft und wegen der Menschen, die sie bewohnen.
Alles für alle
Die Kommune Las Terrazas und ihre direkte Umgebung machen 5.000 der 25.000 Hektar des Biosphärenreservates Sierra del Rosario aus und wurde zur Vorkämpferin der nachhaltigen Entwicklung in Kuba. Ihr Erfolg hängt zutiefst mit dem Wohlbefinden ihrer Leute zusammen. In der Weise, in der die Harmonie ihrer Bewohner mit der Umwelt wächst, geht es auch in der Kommune voran, vergleichbar einer Uhr, in der jedes Einzelteil, in das Getriebe eingebunden, zum gemeinsam Fortschritt beiträgt.
Dabei handelt es sich nicht um ein isoliertes Experiment, sondern um die Herausforderung, sich in einer andersartige Wirklichkeit einzupassen, ohne dabei die Besonderheiten der eigenen Herkunft aufzugeben; um die Identität eines Projektes, welches es sich von Anfang an zur Aufgabe gemacht hat, die Lebensbedingungen in der Hügellandschaft zu verbessern. Hier zeigt sich eine Variante des „alle für einen, einer für alle“, die in vier Jahrzehnten ihren Wert unter Beweis stellen konnte – nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet, sondern auch in soziokulturellen Fragen; ein lebendes Denkmal für die Vereinigung von Mensch und Natur zum gegenseitigen Vorteil – denn anders als viele meinen, sind auch wir Menschen Teil der Landschaft.